Sie heißen Alb-Bote, Bocholter-Borkener Volksblatt, Der Neue Tag oder schlicht Allgemeine Zeitung. In jeder Stadt gibt es mindestens eine von ihnen. Ihr Image ist oft nicht das Beste. Die Rede ist von, natürlich, den Lokalzeitungen. Es gibt sie noch, doch sie werden immer weniger.
Für den klassischen Lokaljournalismus sieht es schon seit Jahren nicht gut aus – die bekannten Stichworte lauten Zeitungssterben, Fusionen und Zombie-Zeitungen. Es ist ein langsamer, aber scheinbar unaufhaltsamer Trend: Die unter Finanzdruck stehenden Printmedien sparen seit Jahren an (Lokal-)Redakteuren. Mancherorts gibt es nur noch ein Verlagshaus, das die ortsansässigen Zeitungen mit dem gleichen Lokalteil ausstattet. Mit einer einfachen Folge. Je nach Ausrichtung des Monopolisten tauchen bestimmte Meinungen, Themen und Perspektiven weniger häufig in der Zeitung einer Region auf oder bleiben gleich völlig ungenannt. Die Bundeszentrale für Politische Bildung schrieb bereits 2012, dass in 58 Prozent der deutschen Städte nur eine lokale Zeitung erscheine, das betreffe 42 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Dabei ist der Schwund im Lokalen ein Phänomen, das den Marktbedürfnissen entgegensteht: 86 Prozent aller Tageszeitungsleser interessieren sich vor allem für den Lokalteil, so hat der Bundesverband der Zeitungsverleger es ermittelt.
Stellenwert des Lokaljournalismus
Dabei sind lokale Medien wichtig für die Region: Durch sie erfahren Bewohner auf einen Blick, was in ihrer direkten Umgebung los ist. Lokalzeitungen berichten zum Beispiel darüber,
- ob das neue Einkaufszentrum gebaut wird,
- worüber Politiker im Rathaus debattieren,
- welche Baustellen geplant sind und
- was man in der Freizeit unternehmen kann.
Diese Themen haben Menschen schon immer bewegt, denn sie betreffen das Leben ganz unmittelbar. Vor dem Erstarken der Tageszeitungen im 19. Jahrhundert war der Marktplatz eines Ortes wichtig für den Austausch von Informationen. Seither können sich Interessierte die neuesten Nachrichten jeden Morgen in ihren Briefkasten liefern lassen. Doch mit der massenhaften häuslichen Digitalisierung seit den 1990er Jahren bekam die Tageszeitung plötzlich Konkurrenz. Während sich die gedruckten überregionalen Zeitungen neu positionierten und bis heute in einem lebendigen Wettbewerb zu den digitalen Angeboten stehen, gab es in den Lokalzeitungen kaum Veränderungen.
Der Lokalteil sieht oft noch so aus wie vor 30 Jahren. Er besteht zum großen Teil aus dem, was Zeitungsmacher Terminjournalismus nennen: Da wird der Trödelmarkt im Kindergarten angekündigt und das Theaterstück der Gesamtschule besprochen. Hintergrundberichte, Reportagen oder Interviews findet man im Lokalteil selten. Warum ist das so?
Die Arbeit in einer Lokalredaktion
Zum einen, ist der Lokalteil verhältnismäßig aufwendig herzustellen. Anstatt wie im Mantel Text und Bilder über eine Agentur zu beziehen, muss im Lokalen ein Redakteur raus aus der Redaktion oder ein freier Mitarbeiter beauftragt werden. Der fährt zum Termin, sammelt Informationen, fotografiert und verfasst anschließend noch den Text. Das ist zeit- und damit kostenintensiv, zumal die Themen im Lokalen nicht immer gleich relevant für alle Leser sind. Darum beschränken die Zeitungen ihre Berichterstattung meist auf wenige Seiten. Nur samstags darf es zusammen mit dem Stellen- und Immobilienmarkt auch mal mehr sein – und montags, denn da erfolgt die Berichterstattung vom Wochenende. Dennoch verfügt die Tageszeitung im Lokalen über ein Monopol, das immer noch unangefochten existiert. Auch lokale Blogs, Lokalfunk oder Facebook-Gruppen konnte diesen Platz bisher nicht für sich beanspruchen.
Online: Lokale Vielfalt
Heute macht es das Netz leicht wie nie, sich kostenlos über die Geschehnisse auf der ganzen Welt zu informieren. Aber Details aus dem direkten Umfeld haben es im Internet schwer. Zwar existieren vielerorts Online-Varianten der Tageszeitung oder lokale Blogs, doch umfassend informiert wird man durch diese Angebote meist nicht. Die Online-Version der Zeitungen verzichten häufig zugunsten einer klaren Struktur auf vieles, das die gedruckten Seiten des Lokalteils füllt, seien es Terminankündigungen oder Kolumnen.
Es gibt es zwar eine Menge alternativer Ideen, aber kaum ein Konzept konnte sich langfristig durchsetzen oder ist gar zu einem Geschäftsmodell geworden. Vielerorts entstehen lokale Blogs, die auf die Hilfe von engagierten Bürgerinnen und Bürgern setzen. Leider befindet sich das Niveau der Berichterstattung dieser nicht ausgebildeten Schreiber oft unter dem der Tageszeitungen. Ohne Freiwillige geht es aber nicht, denn kostendeckend arbeiten diese alternativen Plattformen in der Regel nicht. Das Internet leidet besonders im Lokalen immer noch darunter, dass nur wenige bereit sind, Geld für Online-Inhalte zu zahlen.
Wenn aber die Tageszeitung kaum noch Menschen vor Ort erreicht und auch alternative Konzepte nicht wahrgenommen werden, welche Möglichkeiten hat der Lokaljournalismus dann noch?
Das Klischee: der Kaninchenzüchterverein
Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, zunächst einen Schritt zurückzugehen und sich zu fragen, was der Lokaljournalismus überhaupt ist – und was er sein soll. Diese beiden Aspekte sind nämlich keineswegs deckungsgleich. Berichterstattung im Lokalen besteht häufig aus dem sprichwörtlich gewordenen Besuch beim Kaninchenzüchterverein. Ohne den Kaninchenzüchterverein schlecht machen zu wollen: Dass solche Themen nur für einen sehr begrenzten Leserkreis von Interesse sind, liegt auf der Hand. Darum haftet dem Lokaljournalismus, der dann im Terminjournalismus aufgeht, heute oft das Image eines verstaubten und langweiligen alten Hutes an. Das gehört mit zum Phänomen Lokaljournalismus: Die Leser sind im Durchschnitt alt und geduldig. Sie mögen vertraute Strukturen und schätzen Änderungen nicht. Junge Leser, also grob gesagt alle unter 40 Jahren, werden durch den Lokalteil jedoch kaum noch erreicht.
Wie soll Lokaljournalismus der Zukunft aussehen?
Spricht man mit Redaktionskollegen, Meinungsmachern und Lesern, wie es zum Beispiel die Landesanstalt für Medien im Rahmen ihrer Diskussionsreihe „Vor Ort NRW“ tut ergibt sich überraschenderweise ein recht einheitliches Bild. Dass der Lokaljournalismus eine Existenzberechtigung hat, stellt niemand in Frage. Doch neben den lokalen Vereins- und Politikthemen wollen die Menschen mehr: Mehr Meinungen, mehr Hintergründe, mehr Storys, mehr Gastautoren. Es geht darum, die Erzählweisen des großen Publikumsjournalismus auf die lokale Ebene zu holen. Ein besserer Lokaljournalismus soll her, ein spannender, erzählender. Die Texte sollen begeistern, nicht nur die Inhalte. Eine Restrukturierung ist dafür unbedingt erforderlich. Wenn ein Thema eine ganze Stadt anspricht, wie der Neubau eines großen Gebäudes oder die mögliche Korruptionsaffäre dahinter, dann muss dem mehr Raum gegeben werden als dem Trödelmarkt des Kindergartens. Und das bitte in Form einer Reportage. Doch das kostet: Recherchezeit, Schreibzeit, Zeit für spannende, kontrastreiche Bilder, für intelligente Fragen an die Verantwortlichen und eingehende Analysen. Hintergründe müssen aufgezeigt werden, beteiligte Menschen vorgestellt und kritische Stimmen gehört werden. Dass für einen solchen neuen, qualitativ hochwertigen Lokaljournalismus Geld in die Hand genommen werden muss, steht außer Frage. Doch das kann und will die Tageszeitung, die bekanntermaßen mit stetig schrumpfenden Auflagen zu kämpfen hat, nicht leisten. Vorzuwerfen ist ihr das nicht. Auch Zeitungsmacher sind in erster Linie Geschäftsleute.
Publizistische Innovation gibt es nicht gratis
Ersatzlos streichen möchte die Tageszeitungen niemand. Was fehlt, ist ein anderes Format, zum Beispiel in Form einer Wochenzeitung, die die Tageszeitung ergänzt. Es geht um Berichterstattung mit einer Qualität, die an die großen Nachrichtenmagazine anknüpft, dabei allerdings im Kleinen bleibt.
Klingt gut. Bleibt aber die Frage: Wer zahlt das alles? Außer Frage steht, dass der Lokaljournalismus aus seinem belächelten Nischendasein erweckt werden muss, sonst droht ihm bald der Todesstoß. Facebook, Twitter und Co. warten darauf, auch lokal das Bild zu bestimmen. Schon heute informieren sich 44 Prozent der Amerikaner ausschließlich über Facebook, mit den bekannten Folgen: Da Facebook die Nutzer möglichst lange auf der eigenen Seite behalten möchte, werden mögliche kritische Berichte aus der Timeline gefiltert – ohne, dass der Nutzer etwas davon mitbekommt. Es entstehen die vielzitierten Echokammern der eigenen Meinung. Davon abweichende Berichterstattung bekommt der Nutzer nicht mehr zu sehen.
Aufgeklärte Bürger kennen jedoch auch die Argumente derer, deren Meinung sie nicht teilen. Sie wissen um die Hintergründe einer Debatte. Doch Informationen in dieser Tiefe auf lokaler Ebene bieten aktuell weder die sozialen Medien noch seriöse Informationsplattformen und auch die Lokalzeitung nicht ausreichend. Darum sollte die öffentliche Hand viel stärker als bisher Medien fördern, die kreativ und aktiv zum Meinungsbild in ihrer Stadt beitragen. Staatliche Förderung erlaubt den Medien, egal ob print oder digital, aktiv nach Lösungen für die Berichterstattung von morgen zu suchen, statt wie bisher nur nach neuen Verdienstmöglichkeiten. Nur mit öffentlichen Geldern können freier Journalismus und damit der Zugang zu gut aufbereiteten Informationen für alle bezahl- und erlebbar bleiben.