Veröffentlicht am: 20. Mai 2016Von: Kategorien: Journalismus

Dass das mit diesem Internet so eine Sache ist, dürfte ihnen wohl bereits aufgefallen sein. Löschen geht nicht, was leider auch für die liquiden geistigen Fäkalien gilt, die mitunter im Web kursieren. Was kann man dagegen tun? Leider nur wenig. Aber ein Verständnis entwickeln ist ein Anfang.

Das Internet ist eine wunderbare Sache. Denke Sie mal an die Zeit zurück, als wir alle noch offline waren. Wunderbar entschleunigt, übersichtlich, schön heimelig. Und können Sie sich noch an Ihr erstes Mal im Web erinnern? Ich war mit meiner Jugendliebe in die hiesige Stadtbücherei gegangen, um mir dieses Internet nach dem Einwurf von einer Mark mal anzugucken – und war überrascht, wie einfach das doch ist.

Digitale Entjungferung

Meine Entjungferung ist nun schon Ewigkeiten her, in der Zwischenzeit (Dial-up-Modem, DSL-Anschluss, StudiVZ, Smartphone) ist alles irgendwie viel schneller und vor allem omnipräsent geworden. Das ist eine Entwicklung, die nicht ohne Nebenwirkungen stattfindet.

Was mich in diesen Tagen, in denen wieder Flüchtlingsheime brennen, bewegt, ist das Internet und im Speziellen die Sozialen Medien als Ort der freien Meinungsäußerung. Die ist sakrosankt, keine Frage, aber einige Individuen missbrauchen sie, während andere wohl eher einem, ich nenne es mal so, „Stille-Post-Effekt“ aufsitzen.

Ein gutes Beispiel dafür findet sich in einem Artikel aus der „Allgemeinen Zeitung“ in Dülmen. Da wird ein Leserbrief geschrieben und von einer angeblichen sexuellen Belästigung durch Flüchtlinge berichtet. Die Redaktion fragt nach und es stellt sich heraus: absolut nichts dran.

Hoaxmap gibt Aufschluss

Das Thema Flüchtlinge ist eines, das die Emotionen bei manchem Zeitgenossen hochkochen und die Gerüchteküche richtig laufen lässt. Auf der Hoaxmap (Hoax: Englisch für „Zeitungsente“ oder „Jux“) werden die Gerüchte und die entsprechenden Richtigstellungen für Deutschland und Österreich aufgelistet.

Falschdarstellungen kusieren im Netz

Diese Falschdarstellungen kursieren besonders auf Online-Plattformen wie Facebook und entwickeln dort ein regelrechtes Eigenleben. Dazu ein Beispiel: Jemand postet ein zwei Jahre altes Video über ein Familiendrama. Dort geht es um einen Täter, der seine Frau erst erstach und dann enthauptete. Der Clip wurde mit dem Titel „Muslimischer Asylant schneidet Frau den Kopf ab und ruft Allahu akbar“ versehen. Dass mit dem Video etwas nicht stimmt, es zwei Jahre alt ist und weder Angaben zu Religion und Aufenthaltsstatus des Mannes gemacht werden, fällt den ersten Kommentatoren noch auf. Aber deren Posts verschwinden schnell in dem dann folgenden braunen Tsunami, auf den ich an dieser Stelle detailliert eingehen möchte.

Gatekeeper adé – Filterblase olé

Der amerikanische Autor Eli Pariser hat eine Hypothese aufgestellt, mit der er diese Radikalisierung – und die ist nicht ausschließlich auf Rechte bezogen, sondern auch auf den IS-Rekruten ebenso wie den Verschwörungstheoretiker – zu erklären versucht. Im Kern geht es darum, wie Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Konsens entsteht. Das funktionierte früher über die klassischen Medien, in denen die Journalisten in ihrer Funktion als Gatekeeper Nachrichten gewichten, Quellen prüfen usw.

Aktuell bemerken wir aber einen starken Wandel in der Mediennutzung. Print ist seit über einem Jahrzehnt am Darben, das ist ja schon eine olle Kamelle, doch für immer mehr User werden die sozialen Medien zu einer Plattform, über die sie Nachrichten konsumieren. Genau hier setzt Pariser mit dem von ihm geschaffenen Begriff der Filterblase an: „Das persönliche Informationsuniversum, das sie online bewohnen – einzigartig und nur für sie aufgebaut von den personalisierten Filtern, die das Web jetzt antreiben.“

Filter von Facebook führen zu Blasen

Die Filter, das sind die Algorithmen, nach denen Google oder Facebook ihren Usern Sucherergebnisse bzw. Nachrichten/Ereignisse im Newsfeed präsentieren. Diese richten sich nicht nach objektiven Kriterien, sondern nach den Interessen der Nutzer. Die bekommen dann nur das angezeigt, was sie ohnehin interessiert – da beißt sich der Hund in den Schwanz. Zu dem unliebsamen Ergebnis kommt übrigens eine Facebook-Studie.

Echokammern befeuern Gerüchte

Andere Forscher haben für diese Netznischen, in denen man nur ausgewählte Dinge präsentiert bekommt und mit Gleichgesinnten teilt, den Begriff der Echokammern gefunden. In diesen Kommunikationsräumen wird das reflektiert (das Wort benutze ich in einem physischen Kontext), was ohnehin den Einstellungen und Ansichten des jeweiligen Nutzers entspricht.

Die italienische Mathematikerin Michaela Del Vicario und ihre Forschungsgruppe haben die Ausbreitung von Gerüchten in sozialen Netzwerken untersucht, indem sie Facebook-Daten ausgewertet haben. Ergebnis: Nutzer sammeln sich in Interessengruppen, was zu „Bestätigungsverzerrung (das Ausfüllen von Wissenslücken mit dem, was man ohnehin schon glaubt), Spaltung und Polarisierung“ führe. Dies wiederum trage zur „Verbreitung von verzerrten Narrativen, angefacht von Gerüchten, Misstrauen und Paranoia“ bei.

Was Kann man gegen
Echokammern tun?

Ob erfundene Vergewaltigungsgeschichten oder reiche Flüchtlinge: Werden die Verschwörungstheoretiker mit Fakten konfrontiert, ignorieren sie diese oder wenden sich noch stärker ihrer Echokammer zu, wie die oben zitierten Forscher in einer weiteren Studie herausgefunden haben. Die Kammer wird zum Bunker, aus dem die Menschen dann kaum mehr herauszuholen sind. Und die Gebildeten haben sich schon lange angeekelt abgewendet – zumindest in Deutschland. Besagt eine andere Studie.

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