Im hektischen Berufsalltag spielt das Thema Ernährung für viele Menschen nur eine untergeordnete Rolle. Das Mittagessen wird nebenbei am Platz gegessen oder in stressigen Phasen sogar ausgelassen – ein großer Fehler, sagt Gesundheitscoach Sandra Fuchs. Im Interview erklärt sie, warum es insbesondere um den bewussten Genuss und ein gutes Bauchgefühl geht.
Frau Fuchs, an der richtigen Ernährung scheiden sich die Geister. Vorlieben, Essverhalten und -gewohnheiten sind zudem sehr individuell. Wie lautet Ihre persönliche Philosophie, wenn es ums Essen geht?
Meine persönliche Philosophie lautet: Essen hält Leib und Seele zusammen und in diesem Kontext ist für mich alles erlaubt. Wichtig finde ich dabei zu beachten, dass Lebensmittelauswahl, Lebensmittelmittelmenge und Essverhalten kurzfristig wie langfristig ein gutes Bauchgefühl vermitteln. Und um dieses zu spüren ist es für mich hilfreich, das Essen achtsam zu genießen, das heißt in Ruhe, mit allen Sinnen aufmerksam zu essen. Das ist meine Philosophie.
Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass Essen so individuell ist, wie jede Person selbst und dass jede und jeder selber am besten weiß, was gut für sie beziehungsweise ihn ist. Hierin liegt meines Erachtens die größte Herausforderung vieler Klient*inn*en, die in meine Beratungspraxis kommen: den Außenfokus weg von allgemeinen Empfehlungen nach innen zu lenken, um wahrzunehmen, was persönlich guttut.
Der Bereich Ernährung wird dominiert von wechselnden Trends. Ob Low Carb, Vegan, Paleo, Clean Food oder Superfood – Otto Normalverbraucher wird geradezu überschwemmt mit vermeintlich gesunden Ernährungstipps. Wie behält man da den Überblick und an welchen Grundsätzen kann man sich orientieren?
Ja, Trends gibt es in der Tat einige und daraus resultierende Empfehlungen scheinbar wie Sand am Meer. Ich glaube nicht, dass jeder da den Überblick behalten kann und muss. Sich selbst gut zu versorgen ist ja eine sehr persönliche Angelegenheit, die maßgeblich von den individuellen Lebensumständen beeinflusst wird. Neben Alter und Geschlecht bestimmen Bewegung im Arbeitsalltag, Sport, mögliche Erkrankungen, Mahlzeitenhäufigkeit, Arbeitszeiten, Glaubenssätze rund um einzelne Lebensmittel und weitere Faktoren wie die Lebensmittelauswahl mit, wie eine Person ihr eigenes Essverhalten so gestalten kann, dass es ihr entspricht und sie sich damit wohlfühlt. Eine allgemeine Empfehlung nach dem Gießkannen-Prinzip kann diese Anforderungen meist nicht erfüllen.
Daher empfehle ich auch hier, gut mit sich selber im Kontakt zu sein und „auf den eigenen Bauch zu hören“. In langjähriger Beratungs- und Coaching-Erfahrung hat sich immer wieder gezeigt, dass meine Klienten stets am besten wissen, was gut für sie ist. Manchmal scheint diese Kompetenz gerade nicht verfügbar oder unterstützungsbedürftig. Dann kann eine Fachkraft hilfreich sein, um die Kompetenz der Klienten wieder so freizulegen, dass diese sich selbst als Experten für ihre Ernährung mit einem guten Bauchgefühl ganzheitlich wahrnehmen.
In unserer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft verbringen die meisten Menschen ihren Arbeitstag sitzend am PC oder in Meetings. Wie kann eine hieran angepasste gesunde und ausgewogene Ernährung aussehen?
In der Tat bringt die heutige „digitale“ Arbeitswelt einige besondere Anforderungen für die Menschen mit sich. Verschiedene Lösungsansätze sind meines Erachtens möglich. Im Vergleich zu früher, als unsere Vorfahren körperlich stärker im Arbeitsalltag eingebunden waren, benötigen die meisten Menschen heute weniger Energie, um ausreichend versorgt zu sein. Gleichzeitig ist das Speisenangebot in unserer Gesellschaft heute so vielfältig und – vielleicht für den einen oder anderen auch – so verlockend wie kaum zuvor.
Das bietet Chancen und Risiken. Entweder jemand wählt bewusst Lebensmittel mit einer sogenannten „niedrigen Energiedichte“ oder man entscheidet sich dafür den Energieverbrauch beispielsweise durch Sport oder Alltagsbewegung gezielt anzuheben.
Natürliche Lebensmittel, wie zum Beispiel ein Apfel oder eine Banane, haben eine eher hohe Nährstoff- und vergleichsweise geringe Energiedichte. Gleichfalls sind sie oft einfach verfügbar und lecker. So liefern Obst, aber auch Gemüse, Quark- oder Joghurtspeisen im Büroalltag ausreichend Energie ohne zu belasten. Und energiearme Getränke wie Kaffee, Tee, Saftschorlen und Wasser gehören natürlich auch dazu.
Wie sieht für Sie der ernährungstechnisch ideale Arbeitstag aus?
Mir persönlich ist mein Frühstück heilig. Ohne Frühstück geht bei mir nichts. Insofern nehme ich mir vor dem Start am PC eine gute halbe Stunde Zeit, um Brötchen, Käse und saisonales Obst oder Müsli aus Haferflocken, Obst und Joghurt/Milch vorzubereiten und in Ruhe zu genießen. In den Wintermonaten darf es auch schon einmal ein warmer Porridge mit Apfel, Zimt und Walnusstopping sein. Mit einem Frühstück als Basis fühle ich mich gleich wacher und gestärkt für die Aufgaben am Vormittag. Die komplexen Kohlenhydrate in Form von Vollkornprodukten sättigen nachhaltig bis zur Mittagspause.
Mittags esse ich gerne eine warme Mahlzeit und einen süßen Nachtisch. Damit ich danach noch fit für Beratungsgespräche, Meetings oder Arbeiten am Schreibtisch bin, habe ich mir angewöhnt bewusst langsam zu essen, um spüren zu können, wann ich satt bin und der Nachtisch noch Platz hat. Früher habe ich teilweise so schnell gegessen, dass die Sättigung sich zeitlich später eingestellt hat, was häufiger zum „Suppenkoma“ geführt hat.
Häufig essen Mitarbeiter aus Zeitmangel am Platz oder lassen das Mittagessen ganz weg – welche Auswirkungen hat das auf den Körper?
Dass Mitarbeiter am Arbeitsplatz quasi „nebenbei“ zu Mittag essen, höre ich häufiger. Leider ist der Gedanke, dass dadurch Zeit gespart wird, eher eine Mogelpackung. Denn nachteilig daran ist, dass beim Essen nebenbei dieses oft nicht bewusst wahrgenommen, sondern einfach konsumiert wird. Gefühle wie Hunger und Sättigung oder auch der Genuss beim Essen bleiben dabei leider meist auf der Strecke.
Das finde ich doppelt schade. Zum einen erfolgt die Nahrungsaufnahme in diesen Momenten eher kopfgesteuert; es wird gegessen, was verfügbar ist. Das muss nicht zwangsläufig zu dem passen, was gerade benötigt wird. Vielleicht ist der Hunger nicht so groß wie einer, der durch die verfügbare Portion gedeckt werden könnte. Somit ist ein „Überessen“ und das sogenannte Suppenkoma vorprogrammiert. Die Konzentration kann infolgedessen negativ beeinträchtigt sein.
Zum anderen – und das wiegt für mich noch stärker – bleiben ein achtsamer Umgang mit sich selbst, die energiespendende Pause, Genuss und die damit mögliche Befriedigung beziehungsweise Belohnung, die ebenfalls durch Essen erfolgen kann, auf der Strecke. Gestärkt durch eine „Genuss“-Pause mit passenden Lebensmittel(-Mengen) erledigt sich die Arbeit häufig umso schneller. Genauso wenig führt gar nichts zu essen zum erwünschten Ziel, da durch das Ausfallenlassen einer Mahlzeit die Leistungsfähigkeit nachgewiesenermaßen umso rapider abnimmt.
Gibt es einen „richtigen“ Essrhythmus? Wenn ja, wie finde ich ihn?
Auch beim Essrhythmus empfehle ich, in sich hinein zu spüren, um wahrzunehmen, wann der Körper eine Mahlzeit benötigt beziehungsweise Hunger und Sättigung vorhanden sind. Ein bewusster Essvorgang mit allen Sinnen ist hierbei sehr hilfreich. Häufig entdeckt man dabei einen individuellen Rhythmus, der zum Beispiel aus drei ausgeprägten oder auch bis zu sieben kleinen Mahlzeiten bestehen kann.
Kommt jemand seinem individuellen Essrhythmus im Alltag nach, stellt sich der Körper mit der Produktion der Verdauungssäfte (bis zu acht Liter am Tag!) darauf ein. Das unterstützt die reibungslose Verdauung und die optimale Nährstoffaufnahme in den Körper.
Sollte man dem Stoffwechsel auch mal längere Phasen ohne Kalorienzufuhr gönnen, sozusagen zur Erholung?
Ja, es ist durchaus vorteilhaft nicht permanent zu essen, auch wenn Lebensmittel heute fast überall leicht verfügbar sind oder angeboten werden. Während in früheren Zeiten Mahlzeiten quasi automatisch den Tag strukturierten, müssen wir uns diese Struktur aufgrund flexibler Arbeitszeit-Modelle und fast jederzeit verfügbarer Lebensmittel selber schaffen. Darin liegt meines Erachtens auch die derzeit große Popularität von Essempfehlungen wie 16:8 (16 Stunden Nahrungspause: 8 Stunden in denen Mahlzeiten zur Nahrungsaufnahme stattfinden). Dadurch entsteht eine Struktur, die durch die relativ ausgedehnte „tägliche Fastenzeit“ dem Verdauungssystem eine Pause ermöglicht und gleichzeitig die Chance eröffnet, wieder einmal Hunger wahrzunehmen.
Ernährungsphysiologisch hat der Körper während dieser Pause auch die Gelegenheit Fett aus den Körperdepots zu „verbrennen“, da durch die Nahrungspause ein Zeitfenster entsteht, in welchem kein Insulin im Blut ist. Insulin ist nämlich ein Hormon, das den Körper auf Energiespeicherung „programmiert“ und nach dem Essen von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln ins Blut abgegeben wird. Diesen Effekt schätzen insbesondere Personen, die gerne das eine oder andere Pfund leichter wären.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Ernährungsfehler am Arbeitsplatz?
Einer der größten Fehler ist das Essen nebenbei, das heißt ohne es wirklich zu bemerken.
Darf am Arbeitsplatz denn auch genascht werden – oder sind Süßigkeiten grundsätzlich tabu/böse?
Das werde ich oft gefragt. Und als bekennende Schokoholikerin bin ich dankbar dafür. Ich genieße fast täglich eine Süßigkeit; auch wenn es oft nur ein Stückchen Schokolade zum Espresso nach dem Mittagessen ist. Ganz darauf verzichten zu müssen, würde meine Sehnsucht nur umso mehr steigern, so dass ich sicher irgendwann immer mehr davon essen würde. Diesen Zusammenhang kennen viele, weshalb ich den achtsamen Genuss von besonderen Leckereien (ob süß oder salzig) mit allen Sinnen präferiere, der ermöglicht, mit kleinen Mengen eine große Wirkung zu erzielen.
Sandra Fuchs ist ganzheitlicher Gesundheitscoach und Fachfrau für das süße Leben und das Salz in der Suppe. Seit 2006 leitet die Diplom-Oecotrophologin zusammen mit ihrem Ehemann Christian Fuchs das Unternehmen Fuchs & Fuchs – Bewegungs- und Ernährungskonzepte in Münster. Ihr Erfolgsrezept: das Essen immer im Zusammenhang mit Genuss und Lebensfreude zu betrachten – egal, welches Problem es in den Griff zu bekommen gilt.