Community Management – ein Schlüsselbegriff im Kontext von Social-Media-Strategien für Unternehmen. Im Interview erklärt Lennart Rettler, Doktorand an der Universität Münster und Experte für Virtual Communities, die wissenschaftliche Perspektive und verrät, welche Rolle Virtual Communities in der Kundenbindung spielen.
Hallo Lennart! Wir freuen uns sehr über die Einblicke in den Stand der Forschung. Starten wir mit einer grundlegenden Frage: Wodurch zeichnen sich Virtual Communities aus?
Ganz allgemein betrachtet sind Communities eine Gruppe von Menschen. Der Begriff Virtual Communities meint also eine Gruppe, die sich virtuell zusammenschließt. Das geschieht in den sozialen Medien häufig aufgrund gemeinsamer Interessen und Themen. Wir unterscheiden in der Wissenschaft zwischen offenen und geschlossenen Gruppen. Offene Gruppen können beispielsweise alle Follower:innen einer Unternehmensseite sein. Geschlossene Gruppen hingegen sind, wie der Name schon verrät, nicht für jede und jeden zugänglich. Oft ist der Eintritt in solch eine Gruppe mit einer Anfrage verbunden. Geschlossene Gruppen sind dementsprechend meistens kleiner und spezifischer.
Danke für die Einordnung. In unserem Gespräch konzentrieren wir uns auf die geschlossenen Gruppen, da diese unserer Erfahrung nach in vielen Kommunikationskonzepten (noch) keine Rolle spielen. Wo siehst Du die Chancen, die Virtual Communities aus Unternehmensperspektive bieten?
In der geringen Zahl der Gruppenmitglieder liegen viele positive Effekte. Allgemein gilt: Menschen sind eher bereit, sich produktiv zu äußern, wenn auch das Umfeld produktiv ist. Produktivität wird durch einen kleineren Raum begünstigt, da dieser zu einer höheren Interaktion und einen größeren Austausch führt. Geschlossene Gruppen werden oft als geschützter Raum wahrgenommen. Dadurch haben die Mitglieder weniger Hemmungen, ihre Meinungen zu äußern und Erfahrungen zu teilen. Auch wenn die Anzahl der Menschen, die durch Gruppen gering sind, begrenzt ist – Unternehmen können sicher sein, dass sie auf diesem Weg exakt die gewünschte Zielgruppe erreichen. Zudem ist auch die Verweildauer auf einzelnen Beiträgen höher, weil weniger Informationen und somit weniger Ablenkungen gegeben sind.
Das, was Du gerade beschrieben hast, widerspricht dem Ziel, viel Reichweite aufzubauen. Ist das Ziel der steigenden Reichweite noch aktuell?
Das kommt immer darauf an. Reichweite aufbauen, nur um mehr Reichweite zu haben, ist sicherlich der falsche Ansatz. Denn Unternehmen müssen bedenken, dass zu viel Reichweite auch Nachteile mit sich bringen kann. Bei einer zu großen Community kann seltener ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, welches auch die Kundinnen und Kunden an das Unternehmen binden kann. Bei zu vielen Menschen kann ein Unternehmen nur bedingt auf jede oder jeden einzelnen eingehen und die Menschen gleichermaßen thematisch abholen.
Auf welche Unternehmensziele kann die Kommunikation in und mit Virtual Communities einzahlen?
Über Virtual Communities und die gezielte Kommunikation lassen sich vor allem Beziehungen zu Kundinnen und Kunden festigen. Daher eignet sich die Kommunikation eher für die Kundenbindung als die Kundengewinnung. Schließlich ist es einfacher, Menschen zu überzeugen, die man kennt und die bereits eine Beziehung zum Unternehmen haben. Bei Menschen, bei denen dies noch nicht der Fall ist, kann zu viel Aufmerksamkeit über soziale Medien als strategisch und damit negativ wahrgenommen werden.
Eines ist bei dem Aufbau einer aktiven Community besonders wichtig: Geduld.
Lennart Rettler, Doktorand an der Universität Münster
Wie sollten Unternehmen in den Gruppen agieren, um eine möglichst enge Bindung zu den Kundinnen und Kunden zu schaffen und die negativen Effekte zu vermeiden?
Eines ist bei dem Aufbau einer aktiven Community besonders wichtig: Geduld. Unternehmen sollten Zeit mitbringen und niederschwellig anfangen, die Gruppe aufzubauen. Dabei sollte immer von der Zielgruppe aus gedacht werden: Welchen Nutzen kann die Community den Mitgliedern bieten? Dieser Nutzen sollte dann aktiv aufgezeigt werden – das kann schon im Rahmen der Einladung erfolgen. Der nächste Aspekt ist für Unternehmen oft schwierig, aber sehr relevant: Strategische Gedanken sollten bewusst zurückgenommen werden. Stattdessen können und sollten die Mitglieder durch Kommentare und geteilte Beiträge hervorgehoben werden. Unternehmen sollten sich in die Rolle des Moderators begeben, der an einigen Stellen Input liefert und Diskussionen anregt.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Lässt sich prognostizieren, welche Bedeutung Virtual Communities in den Sozialen Medien einnehmen werden?
Der Trend in den Sozialen Medien wird sich weiter auf die Communities hinbewegen. Der Grund ist die Komplexität dahinter: Soziale Medien werden immer größer und damit unübersichtlicher. Es gibt immer mehr Informationen, die nicht alle aufgenommen werden können und nicht alle für die Menschen relevant sind. Communities sind eine gute Möglichkeit, diese Flut an Informationen zu reduzieren. Aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer führen Gruppen dazu, dass wirklich Inhalte ausgespielt werden, die sie interessieren.
Lieber Lennart, vielen Dank für das aufschlussreiche Interview. An dieser Stelle möchten wir gerne noch auf die aktuelle Studie aufmerksam machen, an der Du beteiligt warst. Möchtest Du kurz zusammenfassen, worum es geht?
Sehr gerne und besten Dank. In der Studie haben wir uns geschlossene Social-Media-Kanäle und ihre Communities angeschaut. Zusätzlich haben wir mit acht Personen gesprochen, die diese Kanäle aufgebaut haben oder verwalten. Die Geschlossenheit der Kanäle trägt maßgeblich zu einer besseren Atmosphäre bei. Weniger Trolle, weniger Hate Speech, mehr gute Gespräche. Wir können eine hohe Kundenbindung erkennen, gleichzeitig bedeuten diese Kanäle viel Aufwand und die Nutzendenzahlen sind geringer als bei klassischen Social-Media-Kanälen. Unter bestimmten Umständen können sich diese geschlossenen Kanäle aber definitiv lohnen!
Eine Übersicht über die Studienergebnisse gibt es hier: Externes PDF